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Rablinghausen wird unser neues Zuhause

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Wohnungsnot nach dem Krieg

Juni 1956, wir bewohnten ein so genanntes Borgwardhaus mit schönem Grundstück, netter Nachbarschaft und viel Freiraum für uns Kinder. Doch das Grundstück in Osterholz-Tenever gehörte dem Land Bremen und sollte aufgrund der Wohnungsnot bebaut werden. Die Baumaßnahmen und auch die dabei entstandenen Hochhäuser dürften in Bremen bekannt sein. Also mussten wir umziehen, doch wohin?


Eine Geschichte von Hannelore Stelljes, 2021

 

 

 

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Rablinghausen, unser neues Zuhause

Es war im Juni Juni 1956 – Seit Tagen herrschte bei uns ein reges Treiben, alles war in Kartons eingepackt, was war nur los? Wir bewohten in Osterholz-Tenever ein so genanntes Borgwardhaus mit einem schönen Grundstück rundherum, netter Nachbarschaft und viel Freiraum für uns Kinder. Doch da gab es ein Problem, das Grundstück, auf dem unser Haus stand, war Pachtland und gehörte dem Land Bremen. Es herrschte Wohnungsnot und so wurde jede Möglichkeit für die Erschaffung neuen Wohnraums genutzt, wozu auch unser Grundstück und das aller Nachbarn gehörte, von denen schon einige weggezogen und ihre Häuser bereits abgerissen waren.


Die GEWOBA hatte bereits mit den Bauarbeiten begonnen. Direkt neben unserem Grundstück war eine riesige Grube ausgehoben worden für die Grundplatte eines Wohnblocks und ein paar Meter vor unserer Pforte war schon ein Rohbau halb fertig. Also war die Zeit gekommen, dass unsere Familie die Zelte hier abbrechen musste und der Tag des Umzugs anstand. Wir Kinder waren morgens zu einer Nachbarin gebracht worden, die noch da war, damit die Eltern und Helfer sich mit dem Verstauen des Hausrates – und unserer Tiere – in den Umzugswagen ungestört befassen konnten. Und es hieß Abschied nehmen von der bekannten und gewohnten Umgebung, obwohl uns Kindern das nicht besonders schwer fiel. Wir waren viel zu aufgeregt, was an diesem Tag alles passierte. Ich war vor 3 Monaten gerade eingeschult worden und für meinen 3 Jahre jüngeren Bruder war dieser ungewöhnliche Tag besonders spannend. Nur der Jüngste verschlief mit seinen 7 Monaten den ganzen Rummel. Dann ging es los, unsere Mutter mit Kinderwagen, in dem unser kleiner Bruder lag, und rechts und links daneben mein jüngerer Bruder und ich. Unser Vater fuhr mit dem Umzugswagen und unsere Mutter machte sich mit uns Kindern mit Bus und Bahn auf den Weg.

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Zum ersten Mal sahen wir eine Straßenbahn, die Linie 7, die uns zu unserem Ziel nach Rablinghausen bringen sollte. Mit großen Augen bestaunten wir die Schaffnerin, die nach dem Einsteigen an einer Leine zog - bim – bim – und die Bahn fuhr los. Mit den Worten „hier noch jemand ohne Fahrausweis?“ ging sie durch den Mittelgang, von dem rechts und links Holzbänke waren, auf denen die Fahrgäste saßen. Wenn jemand die Hand hob, klappe sie eine Art Buch auf, in dem kleine Blöcke waren, die Fahrscheine, und stempelte einen Fahrschein für den Fahrgast ab, den sie ihm dann gab.

Für Erwachsene musst man 40 Pfennig bezahlen und für Kinder ab 4 Jahren 20 Pfennig. Das Geld steckte sie dann in eine Box, die sie an einem Schulterriemen umgehängt hatte. Diese Box hatte oben Schlitze, je für die Größe eines Geldstückes, und vorne waren kleine Schieber die man herunterdrücken konnte, dann kam unten Geld heraus.

Ich schaute ganz gebannt auf dieses seltsame Gerät. Diese Geldkassette gibt es sogar heute noch. Sie hängt allerdings nicht mehr an einem Tragegurt, sondern steckt bei den Fahrern in ihrem Pult, wird aber noch genauso betätigt wie vor 60 Jahren.

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Wir konnten uns an den Bildern und das emsige Treiben, das sich uns während der Fahrt bot, nicht sattsehen. Die Bahn quietschte und ratterte über die Schienen. An jeder Haltestelle betätigte die Schaffnerin ihre Leine und jedes Mal hörten wir – bim- bim. Dann hieß es. „Rablinghausen, Endstation – alles aussteigen“. Die Schaffnerin half unserer Mutter mit dem Kinderwagen beim Aussteigen. Wir marschierten los, alles wirkte fremd, es hatte geregnet und überall waren Wasserpfützen.

Endlich standen wir vor unserem Haus Am Krummen Fleet/ Ecke Onkel-Bräsig-Weg. Eigentlich standen wir vor einer riesigen Rosenhecke, die bis zu einem Dach mit roten Ziegeln reichte. An der Ecke zum Onkel-Bräsig-Weg stand auf dem Grundstück neben der Eingangspforte ein riesiger Baum, eine Linde. 

Der Umzugswagen war schon eine ganze Weile vor uns angekommen. Die Nachbarn werden große Augen gemacht haben, als unser Vater und die Helfer anfingen, die Sachen auszupacken, vor allem, als aus dem Anhänger nach und nach eine Schaar von Tieren herauskam, eine Ziege mit ihrem Zicklein, Hühner, ein Schwein und unser Spitz Nelly, der war allerdings im Fahrerhaus und unserem Vater mitgefahren.

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Es war zur damaligen Zeit keine Seltenheit, dass viele Haushalte Tiere auf ihren Grundstücken hielten und Gemüse anpflanzten, wenn sie die Möglichkeit dazu hatten, praktisch zum großen Teil Selbstversorger waren. Unsere Eltern sind in der Landwirtschaft groß geworden. So war es für sie ganz normal, sich Tiere zu halten und Gemüse und Obst anzubauen.

Durch unseren Umzug konnten wir in Osterholz-Tenever nichts mehr von dem Angepflanzten ernten, doch die Tiere sind alle mit uns umgezogen und konnten in dem am Haus angrenzenden Holzschuppen, der für die Tiere zuvor von unserem Vater hergerichtet worden war, untergebracht werden.

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Da waren wir nun also. Das Nötigste wie Tisch und Stühle war schon in einem Raum aufgestellt. Doch viel interessanter war für meinen Bruder und mich die Treppe, die in die obere Etage führte. Das war für uns etwas völlig Neues. Wir wurden nicht müde, den Rest des Tages diese Treppe rauf und runter zu laufen.

Für unsere Eltern sah die Realität allerdings anders aus. Die Familie hatte zwar ein Dach über dem Kopf – aber was für ein Dach. Es hatte den ganzen Tag geregnet und im Obergeschoss hatte unser Vater diverse Behälter aufgestellt, um das Wasser aufzufangen, was an verschiedenen Stellen durch die Decke tropfte. Was war passiert?

Es gab keinen Raum, den man als bewohnbar hätte bezeichnen können. Im Erdgeschoss war ein einziger Raum, den man für diese Möglichkeit in Erwägung ziehen konnte, wenn er gereinigt war. Es gab keine funktionierende Toilette, der Abfluss des Waschbeckens in der so genannten Waschküche, einzige Wasserstelle, war verstopft, und was am schlimmsten war, kein Strom.

 

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So hatten wir bei unserem Einzug praktisch einen einzigen Raum, in dem wir zunächst leben, essen und schlafen konnten mit 5 Personen, eigentlich 6, da unser ältester Bruder gerade auf Klassenfahrt war.

Unsere Mutter erkundigte sich bei einer Nachbarin, wie man an Strom kommen könne und erfuhr, dass in dem Haus ein „Münzzähler“ sei, diese Münzen konnte man beim „Krämer“, in diesem Fall waren es Helmboldt Am Krummen Fleet, die mit Süßwaren für Kinder handelten, oder bei dem kleinen Lebensmittelladen Lütjen an der Ecke Mühlenhauser Weg/Am Krummen Fleet, kaufen. Man musste sie in den Zähler stecken und erhielt dann für eine gewisse Zeit Strom.

Also erst einmal die Münzen besorgen und heißes Wasser stellten die Nachbarn zur Verfügung, um überhaupt die Räume einigermaßen reinigen zu können. Später sorgte unsere Mutter bei den Stadtwerken dafür, dass wir einen anderen Zähler bekamen, um für das Haus eine vernünftige Stromversorgung zu haben. Ein weiterer Nachbar, der bei den Stadtwerken arbeitete, sorgte dafür, dass wir eine funktionierende Toilette und fließendes Wasser mit funktionierendem Abfluss erhielten 

 

Unsere Eltern waren es gewohnt, die Dinge anzugehen. Nachdem feststand, dass wir unser Haus in Osterholz-Tenever wegen des neuen Wohnungsbebauungsplanes des Landes Bremen aufgeben mussten, war unserem Vater von der Behörde eine 4-Zimmer-Mietohnung in Hemelingen angeboten worden. Doch damit war er nicht einverstanden. Er wollte für seine Kinder wieder einen Garten zum Spielen haben und die Möglichkeit, für die Familie etwas anpflanzen zu können. So wurde ihm der Vorschlag gemacht, ein Haus in Rablinghausen zu übernehmen, das allerdings renovierungsbedürftig sei. Durch die Familie, die darin gewohnt habe, sei das Haus stark verwohnt. Ohne das Haus zu kennen, war er sofort damit einverstanden. Bevor er den Schlüssel für das Haus bekam, hatte er es nur von außen mit der riesigen Hecke gesehen.

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Der ganze Umfang des Zustandes offenbarte sich dann, als unsere Mutter und eine Nachbarin 14 Tage vor dem Umzug nach Rablinghausen fuhren, um eine „Grundreinigung“ für den Einzug vorzunehmen. Nach dem Umzug wurde dann erst einmal dafür gesorgt, dass das Dach instandgesetzt wurde. Zum Glück war ein Nachbar Dachdecker, der auch sofort die Reparatur vornahm. Und unser Vater, der sich Urlaub genommen hatte, arbeite von früh bis spät, um zunächst die Räume im Erdgeschoss bewohnbar zu machen.

Die Wohnküche wurde gestrichen und die Möbel aufgestellt. Der Raum, in dem wir die erste Zeit lebten, wurde unser Wohnzimmer – oder die Stube – wie man es früher nannte. Dann kam die obere Etage dran, wo die Schlafzimmer hergerichtet wurden.

Es ist unglaublich, wie unsere Eltern in kurzer Zeit dieses verwahrloste Haus bewohnbar gemacht haben. Auch die Hilfsbereitschaft der Nachbarn war enorm. So war es möglich, dass unser ältester Bruder, der von der Klassenfahrt zurückkehrte, in ein bewohnbares Haus kam. Er war kurz vor unserem Umzug mit seiner Klasse in ein Schullandheim gefahren und hatte von unserer Mutter schriftliche die neue Adresse bekommen.

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Jetzt hatten wir also in Rablinghausen unser neues Zuhause. Das Haus war von den Eltern schön hergerichtet worden. Ich war in der Schule Dorfkampsweg angemeldet worden und besuchte jetzt die 1. Klasse 1C bei Fräulein Schulz. Aber es gab noch jede Menge zu tun. Diese Riesenhecke musste entfernt werden, damit man überhaupt von der Umgebung etwas sehen konnte und wir auch zu sehen waren, das Grundstück musste hergerichtet werden, damit unsere Mutter wieder ihren geliebten Garten mit Blumen hatte und vor allem wieder eine Gemüsegarten angelegt werden konnte. – Aber das ist eine andere Geschichte.

Hannelore Stelljes, 2021


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